„Bist du schon mal auf der Nette gepaddelt?“ Nein, bin ich noch nicht. Niko's Frage wundert mich nicht sonderlich: nach den ausgiebigen Regenfällen die letzten Tage laufen alle Bäche und die Chance, einen Exoten zu befahren, sollte man vielleicht nutzen. Alles klar, aber lieber am Samstag falls es nach hinten spät werden sollte. Und es wurde spät.
Die Infos beziehen wir aus dem DKV Online Flußführer. Aktuelle Informationstechnik bedeutet aber noch lange nicht aktuelle Informationen und viele erwähnte Wasserbauwerke sind wahrscheinlich schon nicht mehr vorhanden. Dafür fehlen die wirklich wichtigen Hinweise.
Wir sind zu zweit; keiner aus Niko's WhatsApp-Gruppe ist diesmal dabei. Um 10h fahren wir mit zwei Autos in Richtung Aussatzstelle in Plaidt (Plät ausgesprochen). Paddelsport ist Motorsport – leider. Bei Sinzig überqueren wir die Ahr: Pegel Müsch 118 cm. Randvoll und schön braun fließt sie dahin. Okay, dazu der Referenzpegel Wernerseck für die Nette zeigt 92 cm. Das passt.
In Plaidt angekommen inspizieren wir zuerst die sogenannte Schluchtstrecke, die im Online-Führer mit WW 3 angegeben ist. Das Wasser donnert hier nur so den Katarakt hinunter, delikat gewürzt mit einigen querliegenden Baumstämmen und grober Verblockung. Alles klar, wir booten besser vorher aus.
Fast am Ortseingang stellen wir ein Auto ab und fahren mit dem zweiten weiter nach Mayen, um kurz vor dem WEIG-Werk einen schmalen Weg zur Nette zu nehmen. Schnell sind die Boote abgeladen, der Kram sortiert und eine Einsatzstelle gesucht. Der Fluß ist hier knapp sechs Meter breit und rauscht mit beachtlicher Geschwindigkeit auf eine kleine Fußgängerbrücke zu, die gerade mal 50 cm Kopffreiheit bieten würde. Im Führer steht natürlich nichts davon und wir stellen uns insgeheim schon auf ein paar besonders 'nette' Überraschungen ein. Wir rutschen kurz dahinter die Böschung hinab und werden direkt von einer starken Strömung mitgenommen. Da ist ordentlich Zug drauf und alle Sinne sind jetzt auf höchstem Empfang gestellt. Schnell ein paar 'Warm-Mach-Kehrwasser' angefahren und die Sitzposition gecheckt dann geht es die erste Kurve hinab und schon heißt es: querliegenden Baum rechts umtragen! Wenn das in dem Stil so weiter geht brauchen wir zwei Tage für die Befahrung. Und es geht so weiter.
Viele Bäume und Äste reichen in den Fluß hinein oder liegen quer. Einige davon können mit Schwung überfahren oder langsam unterfahren werden, einige sind nur auf dem Landweg zu überwinden. Auf jeden Fall müssen die Entscheidungen schnell getroffen werden, denn das Wasser zieht kompromißlos auf die Hindernisse. Alle unübersichtlichen Streckenabschnitte werden mit höchster Konzentration gepaddelt, immer mit Ausschau nach rettenden Kehrwassern falls da 'Unheil voraus' droht.
Der Fluß fordert uns komplett und nur wenige Blicke haben wir für die schöne Landschaft übrig. Irgendwann ist die Dichte an unüberwindbaren Hindernissen so groß, dass wir kaum 50 Meter durchgehend paddeln können. Das viele Aus- und Einsteigen, garniert mit zum Teil arg unwegsamen Portagen lassen uns immer mehr riskieren. Und unweigerlich kommt der Baum der Wahrheit, der vielleicht noch unterfahren werden könnte – allerdings nur kieloben. Okay, danach rollen wir wieder hoch. Jetzt sind wir wirklich warm und weiter geht’s (hier ein kurzer Videoclip).
Einige der beschriebenen Wehre sind mittlerweile im Zuge von Renaturierungsmassnahmen zurückgebaut und bieten schöne Schwallstrecken. Überhaupt bietet die Nette ähnlich der Bröl einige schöne Passagen, allerdings mit deutlich mehr Gefälle und höherer Fließgeschwindigkeit.
Irgendwann kommt dann ganz plötzlich das Deja-vu mit der Brücke aber diesmal nicht vom sicheren Land aus. Kurzer Adrenalinschub. Alles klar, passt. Also wieder umkippen und danach hochrollen. Später kommt noch so ein Teil, das man seitlich abliegend geschafft hätte aber der Baum danach doch noch eine volle Rolle erforderte. Ich glaube, dass der Puls hier schon nicht mehr besonders hoch ging – Hauptsache nicht umtragen (dazu ein kurzer Videoclip).
Im weiteren Verlauf unserer Befahrung gewinnen wir immer mehr den Eindruck, dass wir mehr Zeit an Land als auf dem Wasser verbringen. Das ist natürlich subjektiv zumal die Schlepperei auf Dauer immer anstrengender und nerviger wird. Außerdem läuft uns die Zeit davon und zunehmend wird klar, dass wir Plaidt nicht schaffen werden. Auf jeden Fall dürfen wir nicht irgendwo im Busch von der Dunkelheit überrascht werden. Kurz vor der Ortschaft Ochtendung können wir nach einer schönen Schwallstrecke hinter einer Strassenbrücke anlanden und die Fahrt in der fortgeschrittenen Dämmerung beenden. Rund sechs Kilometer wären es noch gewesen aber wir haben keine Lust zu Pokern.
Wir verstecken die Boote etwas unter den Büschen, schnappen uns Wertsachen und Autoschlüssel (!) und machen uns auf den Weg in Richtung Plaidt. Trampen ist zweklos. In unseren Trockenanzügen und Paddelschuhen erhalten wir nur mitleidige Blicke und in der Dunkelheit funktioniert Trampen allemal nicht. Also, zu Fuß eineinhalb Kilometer bis Ochtendung und dann noch mal, zum Glück auf einem Radweg, knapp sechs bis nach Plaidt. Das machen eineinhalb Stunde marschieren. Zum Glück war es nicht ganz so kalt.
Irgendwann am späten Abend lade ich am Bootshaus das Boot ab. Es ist dermaßen verdreckt, dass ein Abend im Frankenbad eigentlich ganz nützlich wäre ;-)
Am nächsten Abend treffe ich Niko wieder bei einem Konzert von Mitch Ryder in der Bonner Harmonie und irgendwie hat das Thema Nette bei jedem von uns einen tiefen Eindruck hinterlassen: das war schon Hardcore.